Pharmazeutische-Zeitung.de
veröffentlicht in Ausgabe 46/2006
Seit vielen Jahren werden Goldpräparate rein empirisch
als Basismedikamente bei rheumatischer Arthritis
eingesetzt. Doch worauf ihre Wirkung beruht, ist noch
nicht lange bekannt.
Amerikanische Wissenschaftler fanden erst dieses Jahr heraus,
wie Goldverbindungen bei Rheuma wirken. Dabei war die
Arbeitsgruppe um Stephen de Wall von der Harvard Medical
School in Boston gar nicht auf der Suche nach dem
Wirkmechanismus von Goldpräparaten, sondern einem
Ansatzpunkt für neue Antirheumatika auf der Spur. Im Visier
hatten die Wissenschaftler Makrophagen mit ihren
charakteristischen Oberflächenmolekülen, die bei der
körpereigenen Immunreaktion eine entscheidende Rolle
spielen: Um andere Abwehrzellen wie T-Lymphozyten zu
aktivieren, müssen winzige Bruchstücke eingedrungener
Viren oder Bakterien an der Oberfläche der Makrophagen
präsentiert werden. Dazu werden sie an sogenannte MHC-II-
Moleküle (Major Histocompatibility Complex) gekoppelt, wo
sie wie ein Fähnchen den T-Zellen die Infektion signalisieren.
Innerhalb des MHC-II-Komplexes werden die antigen
wirkenden Bruchstücke in einer Mulde festgehalten. Landen
dort jedoch statt Bakterienteile körpereigene Peptide, wird
eine Autoimmunreaktion in Gang gesetzt.
Die Antigen-Präsentation verhindern
Genau das wollten die Wissenschaftler unterbinden. Dazu
überprüften sie gut 28.000 unterschiedliche chemische
Verbindungen und Naturextrakte. Ihr Erfolg war allerdings
bescheiden: Nur vier Metallkomplexe mit Gold, Platin oder
Palladium verdrängten die körpereigenen Peptide aus ihrer
Nische.
De Wall und seine Kollegen gingen dieser Beobachtung nach
und stellten fest, dass sich die Edelmetallionen an die MHC-II-
Moleküle binden, jedoch an einer anderen Stelle als die
Peptide. Offenbar verändern sie die räumliche Struktur des
MHC-II-Komplexes, denn die Metallionen-vermittelte Peptid-
Abspaltung verläuft deutlich schneller als die intrinsische. Die
Metallkomplexe wirken also nicht einfach aufgrund
kompetitiver Hemmung, sondern auf der Basis eines
allosterischen Mechanismus.
Die veränderten MHC-II-Moleküle können die
Eiweißbruchstücke nicht mehr festhalten und somit werden
auch keine T-Zellen alarmiert. Die Bindungsstelle der MHC-II-
Moleküle, an die sich die Metallionen heften, war bisher nicht
bekannt.
Gold wirkt als Prodrug
Neue Wirkstoffe haben die Wissenschaftler bei ihrer
Untersuchung also nicht gefunden, doch eine Erklärung,
weshalb Goldpräparate, wie Auranofin oder
Natriumaurothiomalat, bei Rheuma wirken. Allerdings zeigte
sich, dass Gold-(I)-Komplexe bei In-vitro-Versuchen keine
Peptide von MHC-II-Molekülen abspalten konnten; dies
gelang nur Gold-(III)-Verbindungen. Vermutlich fungieren
Gold-(I)-Verbindungen als Prodrugs, die im Körper zu aktiven
Gold-(III)-Verbindungen oxidiert werden. Weitere Experimente
zeigten, dass Phagozyten während eines Entzündungs-
prozesses Hypochlorit freisetzen, das den notwendigen
Oxidationsprozess anstößt.
Goldtherapie mit Tradition
Gold wird seit langem in der Medizin eingesetzt. Robert Koch
zeigte 1890, dass Kaliumdicyanoaurat Tuberkelbazillen
vernichtete. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts
behandelte der französische Arzt Jacques Forestier
Rheumapatienten mit einer Goldverbindung. Seine Therapie
basierte auf der weit verbreiteten, jedoch falschen Annahme,
rheumatoide Arthritis sei eine atypische Form von
Tuberkulose. In den folgenden Jahrzehnten wurden
Aurumpräparate bei rheumatischen Erkrankungen, aber auch
entzündlichen Autoimmunkrankheiten, wie Lupus
erythematodes, breit eingesetzt. Sie begründeten die erste
Generation von Basismedikamenten gegen Rheuma, später
als Disease-modifying antirheumatic drugs (DMARD)
bezeichnet.
Da Goldverbindungen jedoch erst nach einem halben Jahr
wirken und häufig Haut und Blutbildung beeinträchtigen,
werden heute moderne DMARDs wie Methotrexat oder
Biologicals wie Etanercept und Infliximab vorgezogen. Doch
in ihrer Wirksamkeit können Goldverbindungen mit den
neueren Medikamenten durchaus mithalten.
So lag es nahe, die Goldtherapie bei rheumatoider Arthritis
weiter zu entwickeln. Bisher scheiterte das jedoch daran, dass
der Wirkmechanismus unklar war. Vielleicht lassen sich jetzt
auf Basis dieser Untersuchung weniger toxische Substanzen
entwickeln, die sich an die neue entdeckte
Metallbindungsstelle anheften und so die weit verbreitete
Autoimmunreaktion unterbinden.
QUELLE
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-452006/wie-gold-bei-
rheuma-wirkt/